Der Kampf gegen den modernen Opportunismus und Revisionismus. Erfahrungen der ungarischen Kommunisten


Gyula Thürmer, Vorsitzender der Ungarischen Kommunistischen Arbeiterpartei

Im Jahr 2004 beging die Ungarische Arbeiterpartei (Munkáspárt) gerade ihren 15. Geburtstag, als eine heftige politische und ideologische Attacke auf die Partei begonnen wurde. Zu diesem Zeitpunkt handelte es sich um den größten und ernsthaftesten Angriff der opportunistischen Kräfte innerhalb der Partei und dieser führte beinahe zu ihrer Zerstörung. Während 500 Tagen eines harten internen und externen Kampfes schaffte es die Arbeiterpartei, diese Krankheit zu überwinden. Die Partei war geschwächt, doch war es ihnen nicht gelungen, die Partei zu zerschlagen.

Die Arbeiterpartei zog eine Reihe von Schlüssen aus den Vorgängen, sie verstärkte ihren marxistisch-leninistischen Charakter, festigte die Führung, erneuerte das System der Parteischulung, änderte den Namen der Partei in Kommunistische Arbeiterpartei, trat aus der Partei der Europäischen Linken aus und nahm 2012 ein neues Parteiprogramm an.

Wer war in der opportunistischen innerparteilichen Opposition?

In den Jahren 2004-2005 begann die innerparteiliche Opposition, angeführt durch den damaligen stellvertretenden Parteivorsitzenden Attila Vajnai, einen Angriff gegen die politische Linie der Partei.

Der Nährboden für eine opportunistische innerparteiliche Opposition ergab sich hauptsächlich in zwei Bereichen. Einerseits in jenen Städten, in denen die Arbeiterpartei mit der Ungarischen Sozialistischen Partei (MSZP) in lokalen Regierungen zusammenarbeitete (z.B. Pécs, Eger, Komárom, Kecskemét u.v.a.). Es entsprach immer der Ausrichtung der Arbeiterpartei, dass sie in konkreten Fällen im Interesse der hart arbeitenden Massen mit anderen Parteien, inklusive der MSZP, kooperieren könnte und sollte. Doch dies bedeutet keine strategische Kooperation.

Unsere Repräsentanten in den lokalen Regierungen erhielten öffentliche Anerkennung, Bedeutung und Funktionen sowie – um offen zu sprechen – ein ansehnliches Einkommen im Vergleich zu unseren bescheidenen Bedingungen. Den möglichen Einfluss des Geldes haben wir nicht einkalkuliert. Die MSZP war in der Lage, einige Repräsentanten buchstäblich zu kaufen.

Ein anderer Nährboden für den Opportunismus war in Budapest, unter intellektuellen Kreisen. Beinahe alle Führer der opportunistischen Opposition gehörten der früheren „Nomenklatura” des sozialistischen Ungarns an. Ehemalige Leiter von ZK-Abteilungen, leitende Sekretäre von Regionalkomitees, Staatsbeamte, Oberste und Generäle, Professoren der früheren Parteihochschule. Sie hatten immer erklärt, sie hätten viele Freunde in der MSZP. Sie lehnten es ab, die Tatsache anzuerkennen, dass die MSZP eine bürgerliche, rechtssozialdemokratische Partei geworden war.

Was wollte die opportunistische Opposition?

Die opportunistische innerparteiliche Opposition wollte die marxistische Parteiführung austauschen und das marxistische Wesen, die Strategie, Taktik, Organisationsstruktur und außenpolitische Orientierung der Partei revidieren.

Natürlich wurden diese Ziele weder unmittelbar und offen gezeigt, noch entsprachen diese den Wünschen der Menschen. Dies erschwerte den Kampf gegen sie. Welche konkreten Ziele und Prinzipien verlautbarten sie?

1. Die „vereinigte Linke”

Der Hauptslogan der opportunistischen Kräfte lautete dahingehend, die „Linke zu vereinigen”, was bedeutet, sich mit der Sozialdemokratie und „jeder linken Kraft” zu vereinigen. Dadurch haben sie die Position der Mehrheit der Arbeiterpartei angenommen, wonach in Ungarn Kapitalismus herrscht und die Kapitalistenklasse aus zwei Hauptgruppen besteht – der sozialdemokratisch-liberalen auf der einen Seite, der nationalistisch-konservativen auf der anderen Seite.

Doch gleichzeitig erklärten sie, dass ein Sieg der nationalistisch-konservativen Kräfte zur Stärkung der Ultrarechten oder gar des Faschismus führen würde, und um dies zu verhindern, müsse die Arbeiterpartei mit der Sozialdemokratie und namentlich mit der MSZP zusammenarbeiten.

2. Die „Vereinigte Linkspartei”

Die Opportunisten planten, eine Organisation zu schaffen, der sich ein Teil der Arbeiterpartei, linke Sozialisten, Landarbeiter, enttäuschte Unternehmer, öffentlich Bedienstete etc. anschließen. Als Vorbilder nannten sie die spanische Vereinigte Linke (Izquierda Unida) und das finnische Linksbündnis  Vasemmistoliitto.

Parallel zur Verbreitung der Idee einer „Vereinigten Linkspartei” begannen sie, im Internet ein „Forum der erneuerten Arbeiterbewegung” zu organisieren. Sie erklärten, dass sie „links von der Sozialdemokratie stehen und eine Alternative zur neoliberalen Politik suchen”. Besonders hoben sie hervor, dass sie unabhängig von der Arbeiterpartei seien. Und sie lancierten einen heftigen Angriff auf die Politik und Führung der Arbeiterpartei, der in seiner Grobheit sogar die bürgerlichen Medien übertraf.

Diese Ansichten nützten einen vorübergehenden Rückzug der Arbeiterklasse, um zu belegen, dass nun der Hauptwiderspruch und daher der Kampf nicht mehr zwischen Lohnarbeit und Kapital zu sehen sei, sondern zwischen Kapital, Globalisierung und, wie sie es nannten, „Organisationen, die eine Alternative zur neoliberalen Politik suchen”.

3. „Transformation des Kapitalismus” anstelle des revolutionären Kampfes

Die opportunistische Opposition wollte vorrangig politische Ziele erreichen, die marxistische Parteiführung ersetzen und die Arbeiterpartei übernehmen, aber sie formulierten auch einige ideologische Positionen. Mit dem Verweis auf Beispiele linker Bewegungen in Lateinamerika und der Sozialforen erklärten sie, dass der Klassenkampf unnötig sei, dass „wir das Ausbeutungssystem unter Ausnützung von Formen direkter Demokratie transformieren können”. Sie betonten, dass unter den gegenwärtigen Bedingungen das Eigentum an Produktionsmitteln bereits unwichtig und die wichtigste Sache sei – die Produktionsmittel nicht zu besitzen, sondern fähig zu sein, sie unter Kontrolle zu halten.

4. Die Hauptgefahr: Faschismus

Die Opportunisten übernahmen und wiederholten die Argumente der Sozialdemokratie und der liberalen Bourgeoisie, wonach es in Ungarn einen Prozess der Stärkung der extremen Rechten oder gar des Faschismus gebe, und dass der Wahlsieg der konservativ-nationalistischen Partei (Fidesz) den Weg zum Faschismus öffnen würde.

Diese Kräfte reduzierten den Kampf gegen den Faschismus praktisch auf den Kampf gegen Antisemitismus und Holocaustleugnung. Sie übergingen die Tatsache, dass der Faschismus nur eine Folgeerscheinung, eine Komplikation der Krankheit ist und nicht die Krankheit an sich. Die Krankheit, die Ursache des Faschismus ist das kapitalistische System selbst.

Es gab 2004 eine extreme Rechte in Ungarn. Die Rechtsextremen nützen traditionell zwei Faktoren. Zum einen Teil die Tatsache, dass es in Ungarn bei einer Gesamtbevölkerung von zehn Millionen Menschen etwa 700.000 bis 800.000 Roma gibt, für die es das kapitalistische System verunmöglicht hat, Arbeit zu finden, weshalb die Roma-Bevölkerung zu einer Quelle ernsthafter sozialer Konflikte wurde. Zum anderen Teil nützt die extreme Rechte die Tatsache, dass es in Ungarn eine der größten jüdischen Gemeinden Europas gibt.

Nichtsdestotrotz können wir nicht von einer unmittelbaren Gefahr des Faschismus sprechen. Es ist eine Tatsache, dass die konservativen Parteien die ersten waren, die antikommunistische Gesetze erließen, als sie 1993 die öffentliche Verwendung des Roten Sterns sowie von Hammer und Sichel verboten haben. Doch die nachfolgenden sozialdemokratischen Regierungen unternahmen nichts, um diese Situation zu ändern.

5. „Demokratische, offene Partei”

Die Opportunisten stellten sich gegen die Prinzipien des demokratischen Zentralismus. Sie erklärten, dass Beschlüsse des Zentralkomitees nicht verbindlich seien, sondern bloß Empfehlungen. Sie hoben hervor, dass die Minderheit nicht durch Entscheidungen der Mehrheit gebunden sein sollte. Die Repräsentanten dieser Ansichten wollten anstelle einer Kampforganisation, die den Interessen der Arbeiter dient, etwas Anderes kreieren, so etwas wie ein Diskussionsforum, das auf dem Internet basiert.

Die Führungen von drei (von insgesamt 19) Regionalorganisationen (Baranya, Bács-Kiskun und Somogy) agierten mit ihren offiziellen Beschlüssen und Aktivitäten regelmäßig gegen die Politik des Zentralkomitees der Partei.

Sie versuchten, das Ethikkomitee der Partei in ein paralleles Leitungsgremium im Gegensatz zum Zentralkomitee zu verkehren.

Sie planten, die Parteistruktur zu verändern, die disziplinierte zentralisierte Partei durch ein loses Bündnis von Organisationen zu ersetzen.

Anstelle der dreifachen Anforderung an die Parteimitglieder (Bekenntnis zum Parteiprogramm, konkrete Arbeit in Grundorganisationen und Bezahlung der Mitgliedsbeiträge) wollten sie die Partei für jeden Sympathisanten öffnen. Sie strebten die Möglichkeit an, über das Internet der Partei beizutreten.

Bezüglich der Öffentlichkeitsarbeit der Partei setzten sie auf lose Netzwerkforen und Social Media anstelle bewusster Propagandatätigkeit.

6. Sozialforen und andere zivilgesellschaftliche Bewegungen

Die Führer der opportunistischen Opposition besuchten viele Veranstaltungen des Europäischen Sozialforums. Sie vertraten immer mehr die Ansicht, dass eine kommunistische Partei sich selbst mit zivilgesellschaftlichen Organisationen und Bewegungen identifizieren sollte.

Ihre Position war, dass wir heutzutage die Arbeiterklasse nicht mehr als Hauptkraft des revolutionären Kampfes ansehen könnten, von nun an würde diese Rolle von Intellektuellen und Mittelschichten gespielt, die heute politisch aktiver und in den zivilgesellschaftlichen Bewegungen präsent seien.

7. Bündnis mit der Partei der Europäischen Linken

Die Opportunisten beschädigten auch das System der internationalen Beziehungen der Partei. Sie verlangten, dass die Arbeiterpartei das Internationale Treffen der Kommunistischen und Arbeiterparteien nicht mehr unterstützen, sondern die Kooperation mit der Europäischen Linken und der GUE/NGL-Fraktion im EU-Parlament stärken sollte.

Wodurch waren die Herausbildung und Stärkung des Opportunismus möglich?

Die Herausbildung und Stärkung des Opportunismus waren das Ergebnis der kombinierten Auswirkungen von mehreren Faktoren, die teilweise einen Bezug zur früheren Periode des Sozialismus aufweisen, teilweise ein Produkt der letzten beiden Jahrzehnte sind.

1. Die Mehrheit der Mitglieder der Arbeiterpartei ist aufgewachsen in der Zeit des Sozialismus, im Geiste des 20. Parteitages der KPdSU

Im System der Parteischulung wurden Fragen des Klassenkampfes im Geiste des 20. Parteitages der KPdSU behandelt. Wir wurden gelehrt, dass der Klassenkampf abgenommen habe, im Sozialismus sogar verschwindet oder, wenn es ihn gibt, so nur auf internationaler Ebene. Bezüglich der Innenpolitik seien eine „Partnerschaft”, „das ganze Volk betreffende” Interessen der „gesamten Gesellschaft” entscheidend.

Der Mehrheit der Mitglieder der Arbeiterpartei wurde einmal beigebracht, dass Kommunisten mit Sozialdemokraten zusammenarbeiten sollten. Es war eine unzählige Male wiederholte Behauptung, beinahe ein Dogma, dass Hitlers Aufstieg zur Macht zu verhindern gewesen wäre, wenn die Kommunisten mit den Sozialdemokraten zusammengearbeitet hätten. Diese Ansichten wurden  durch den 20. Parteitag ebenfalls bekräftigt.

Von den Beziehungen zwischen kapitalistischen und sozialistischen Ländern wurde, in Übereinstimmung mit einem weiteren Dogma des 20. Parteitages,  hoffnungsvoll erwartet, dass sie eine immerwährende friedliche Koexistenz bedeuten. Es wurde vergessen, dass der Kapitalismus immer danach trachtete und trachtet, den Sozialismus zu zerstören.

2. Die Mehrheit der Mitglieder der Arbeiterpartei hatte keine Erfahrung im Klassenkampf

Im Jahr 1956 musste die ungarische kommunistische Bewegung der Tatsache ins Auge blicken, dass es konterrevolutionäre Kräfte gab, die danach strebten, die Arbeiter- und Bauernmacht zu stürzen. Die Erfahrung von 1956 stählte diese Generation. Die nachfolgende verfügte über keine derartige Erfahrung.

3. Lange Zeit gab es eine ambivalente Einschätzung der MSZP seitens der Arbeiterpartei

Im Herbst 1989 wurden auf Grundlage der früheren Ungarischen Sozialistischen Arbeiterpartei (MSZMP) zwei Parteien geschaffen. Mitglieder der Arbeiterpartei, und für eine recht lange Zeit auch ein Teil der Führung, hegten Illusionen, wonach sie mit der MSZP im Kampf gegen den Kapitalismus und für die Interessen der arbeitenden Menschen zusammenarbeiten könnten.

Das Jahr 2002 war in dieser Hinsicht entscheidend. Bei den Parlamentswahlen von 2002 zog die Arbeiterpartei in acht Ein-Personen-Wahlkreisen in der zweiten Runde ihre Kandidaten zurück, wodurch sie zum Wahlsieg der Sozialisten und der Medgyessy-Regierung beitrug. Später stellte die Führung der Arbeiterpartei öfters selbstkritisch fest: „Wir wussten, dass wir eine falsche Entscheidung treffen, aber die Mitglieder unserer Partei glaubten an die MSZP und die Parteiführung schwamm mit dem Strom.”

Am Ende desselben Jahres nahm der 20. Parteitag der Arbeiterpartei eine Neupositionierung in Bezug zur MSZP vor. Der Parteitag hielt fest: Die MSZP ist weder unser Freund noch unser natürlicher Verbündeter. Die MSZP ist eine von mehreren ungarischen bürgerlichen Parteien, die den Kapitalismus verteidigen. – Diese Entscheidung des Parteitages war ein Wendepunkt im Leben der Partei.

4. Die ideologische Unvorbereitetheit der Partei spielte eine Rolle bei der Stärkung des Opportunismus und verlängerte den Kampf gegen ihn

Dies war teilweise der Tatsache geschuldet, dass die Basis der Partei unter Intellektuellen gering war. 1989/90 schloss sich die Mehrheit der früheren marxistischen Wissenschaftler nicht der Arbeiterpartei, sondern der Sozialdemokratie an. Teilweise, weil es ihnen als einfacherer Weg erschien, teilweise, weil die MSZP in der Lage war, ihnen materielle Ressourcen zur Verfügung zu stellen, was der Arbeiterpartei nicht möglich war.[1]

Ein anderes Problem war, dass die ideologische Arbeit nicht zur Angelegenheit der gesamten Partei geworden war. Die Resolutionen des Zentralkomitees lieferten klare marxistische Analysen, doch uns gelang es nicht, dass diese Materialien alle erreichten. Ein Teil der Parteimitglieder geriet unter den Einfluss des Antimarxismus.

Ein ernsthafter Nachteil der Arbeiterpartei war, dass die Partei bei der Entwicklung eines Systems der Parteischulung gescheitert war. Es gab viele Versuche, aber alle waren erfolglos. Wir fanden heraus, dass es bereits unmöglich war, den Marxismus unter Verwendung der alten Lehrbücher und Schulungsmaterialien zu lehren. Wir benötigten neue Methoden, neue Lehrbücher und neue Lehrer, aber all dies brauchte seine Zeit.

5. Ein relevanter Teil der Parteimitglieder wollte lange nicht an die Möglichkeit einer innerparteilichen opportunistischen Opposition glauben

Viele von ihnen wurden nicht müde, zu wiederholen, dass „wir sehen sollten, was wir gemeinsam haben, und nicht, was uns trennt.” Viele dachten, dass es keinesfalls böse Absichten geben könnte, dass einige jüngere Funktionäre lediglich Formen einer Modernisierung anstreben würden. Es ist bedauerlich, dass sogar manche Mitglieder des Parteipräsidiums einige Zeit brauchten, um zu erkennen, dass wir es nicht mit Fehlkonzeptionen und Irrtümern einiger junger Funktionäre zu tun hatten, sondern mit einer allgemeinen ideologischen und politischen Offensive mit dem Ziel, die Arbeiterpartei zu spalten.

6. Frustration und Pessimismus der Parteimitglieder spielten ebenfalls eine Rolle

Es war schwierig, sich an die Tatsache zu gewöhnen, dass seit 1989/90 der Kapitalismus in Ungarn herrscht. Es war schwierig, zu verstehen, was Machtverlust bedeutet. Viele Parteimitglieder hofften immer noch, dass der Abwärtstrend in der kommunistischen Bewegung bald vorbei sein würde, und selbst wenn der Sozialismus nicht zurückkäme, so würde zumindest die Partei stärker werden. Viele verstanden nicht, warum die Arbeiterpartei trotz 15 Jahre harten und beharrlichen Kampfes nicht ins Parlament kommen konnte, während die griechischen, portugiesischen, tschechischen und andere Kommunisten gute Wahlresultate erreichten.

7. Die Stärkung des Opportunismus innerhalb der Arbeiterpartei wurde auf allen möglichen Wegen durch die MSZP unterstützt

Die Führer der Sozialdemokratie erkannten, dass die Arbeiterpartei in der näheren Zukunft eine Gefahr für die MSZP darstellen könnte. Wie zeigte sich das?

Erstens, wenngleich die Arbeiterpartei nicht ins Parlament einziehen konnte, da ihre 2,2%-3,9%-Ergebnisse nicht genug waren, um die 5%-Hürde zu überspringen, so entschieden 2002 in vielen Wahlbezirken die Stimmen der Arbeiterpartei die Wahlen. Hätte die Arbeiterpartei in der zweiten Wahlrunde 2002 nicht die Kandidaten der MSZP unterstützt, dann hätten diese offensichtlich verloren. Damals erhielt die MSZP als Liste 42%, während ihr Rivale Fidesz auf 41,07% kam.

Zweitens, die Arbeiterpartei initiierte 2004 ein landesweites Referendum über die Privatisierung von Krankenhäusern und anderen Gesundheitseinrichtungen, wobei sie verlangte, dass diese im Staats- oder Gemeindeeigentum verbleiben sollen. Diese Initiative war offen gegen die MSZP gerichtet, da die MSZP damals an der Macht war und die sozialistisch-liberale Regierung entschieden hatte, das Gesundheitssystem zu privatisieren. Die Aktivisten der Arbeiterpartei sammelten trotz Winterkälte und Schnee die 200.000 Unterschriften, die für das Referendum benötigt wurden (insgesamt wurden sogar 300.000 Unterschriften gesammelt). Das war der Beweis der organisatorischen Stärke der Arbeiterpartei.

Drittens, der 20. Parteitag der Arbeiterpartei, der am Jahresende 2002 abgehalten wurde, änderte die Politik der Partei gegenüber der MSZP und stellte klar, dass die Arbeiterpartei bei künftigen Wahlen die MSZP in keiner Weise unterstützen würde.

Die Initiative der Arbeiterpartei für das Referendum beunruhigte die Sozialisten, sie versuchten, die Arbeiterpartei zu „kaufen”. György Jánosi, damals MSZP-Parteigeschäftsführer, wurde angewiesen, die Arbeiterpartei bzw. namentlich Attila Vajnai zu überzeugen, die gesammelten Unterschriften nicht einzureichen. Außerdem ersuchten sie die Kommunisten, keine Kandidaten zu den EU-Wahlen zu nominieren. Im Gegenzug boten sie Unterstützung in lokalen Regierungen und gutbezahlte Posten in staatlichen Einrichtungen an. Die Antwort der Führung der Arbeiterpartei war kurz: Die Arbeiterpartei ist nicht käuflich! Unsere Partei reichte die gesammelten Unterschriften ein und bestand auf das Referendum.

Die MSZP-Führung erkannte, dass sie bei den Parlamentswahlen 2006 mit einer sehr starken Fidesz konfrontiert und daher jede einzelne Stimme von großer Bedeutung sein würde. Die MSZP wollte niemals auf der landesweiten Ebene mit den Kommunisten zusammenarbeiten. Ihr Ziel bestand immer nur darin, Stimmen der Arbeiterpartei zu gewinnen, indem sie mit der Phrase hausieren ging: „Angesichts der Gefahr des Faschismus sollte sich die Linke einigen.”

8. Bei der Stärkung des Opportunismus war auch die Rolle der Partei der Europäischen Linken bedeutend

Die Ungarische Arbeiterpartei war einer der Gründer der Partei der Europäischen Linken (EL), obwohl wir die EL von Anfang an mit relevanten Vorbehalten betrachteten. Der EL-Geist hatte seinen Einfluss auf die intellektuellen Kreise der Arbeiterpartei, wenngleich dieser Einfluss aufgrund der Sprachbarriere einigermaßen limitiert blieb.

Im Dezember 2004 besuchte EL-Vorsitzender Fausto Bertinotti Budapest, um die Führung der Arbeiterpartei von der Wichtigkeit der „neuen europäischen politischen Kultur” zu überzeugen, die seiner Meinung nach das „überholte” Konzept des Klassenkampfes ersetzen sollte. Bertinotti scheiterte daran, die Parteiführung zu überzeugen, doch die opportunistische Opposition bemerkte den Nachweis, dass ihre Ansichten und Aktionen auf der „europäischen Ebene” unterstützt wurden.

Im Januar 2005 schlug Attila Vajnai, damals noch stellvertretender Parteivorsitzender, vor, eine Urabstimmung in der Partei abzuhalten, um unsere Mitgliedschaft in der EL zu bestätigen. Seine Intention war offensichtlich: In der „europäischen” und „modernen” Verkleidung die Partei auf seine Seite zu bringen. Das Zentralkomitee lehnte die Idee einer Urabstimmung ab.

Was waren die Konsequenzen der Aktivität der opportunistischen innerparteilichen Opposition?

Die Angriffe der Opportunisten innerhalb der Partei hatten ernste Auswirkungen auf die ungarische kommunistische Bewegung und die Arbeiterpartei.

1. Die Angriffe der opportunistischen Opposition lähmten die Arbeiterpartei, ihre Mitglieder und Organisationen vollständig für 500 Tage. Dadurch war die Partei vor den Parlamentswahlen 2006 geschwächt. Und dies nachdem alle Vorhersagen annahmen, dass die Arbeiterpartei in der Lage sein könnte, die Stimmen derjenigen zu gewinnen, die in den vier vorangegangenen Jahren von der MSZP enttäuscht wurden.

2. Die opportunistischen Kräfte schwächten die Partei in organisatorischer Hinsicht. Nachdem sie 2005 damit gescheitert waren, die Parteiführung zu übernehmen, verließen sie die Ungarische Kommunistische Arbeiterpartei und ließen 2006 eine neue Partei unter dem Namen „Ungarische Arbeiterpartei 2006” registrieren. In der Folge verlor unsere Partei 20% ihrer Mitglieder, manche schlossen sich der abgespaltenen Partei an, der größere Teil jedoch verließ frustriert die kommunistische Bewegung.

Die Führung von vier (von insgesamt 19) regionalen Parteikomitees lief zu den Opportunisten über. Viele Grundorganisationen der Partei in diesen Regionen waren dadurch perplex und wurden passiv.

3. Die opportunistischen Kräfte schadeten der Glaubwürdigkeit der ungarischen  kommunistischen Bewegung, indem sie vorführten, dass es „hier wie dort keine Einigkeit gibt, hier wie dort nur innere Streitereien untereinander vorherrschen”. Dies entfremdete viele potenzielle Unterstützer.

4. Diese Vorgänge warfen den Prozess der Stärkung des kommunistischen Einflusses in den Gewerkschaften und Bürgerbewegungen zurück an den Start.

Im Kampf gegen den Opportunismus

Um den Opportunismus zu bekämpfen, bediente sich die Arbeiterpartei einer Reihe politischer, ideologischer und organisatorischer Mittel, mit denen die Partei vor ihrer Zerstörung gerettet wurde.

1. Die Arbeiterpartei lieferte eine marxistische Einschätzung der opportunistischen Offensive

Im Jahr 2005 schloss der 21. Parteitag diesen Prozess ab. Er erklärte: „Der 21. Parteitag der Arbeiterpartei verurteilt die Aktivitäten gewisser Mitglieder und Parteiorganisationen gegen die Beschlüsse des Zentralkomitees der Arbeiterpartei. Das Ziel ihrer Aktivitäten bestand darin, unter dem Vorwand einer angeblich freizügigen Einstellung gegenüber dem Recht, die Parteiführung zu ersetzen, die Arbeiterpartei zu schwächen und unsere Partei der MSZP unterzuordnen. Die Fraktionierer haben schweren Schaden an der Arbeiterpartei verursacht, sie haben die Parteikräfte vom Wahlkampf und von der Organisationsarbeit abgelenkt. Der Parteitag bekräftigt die Resolutionen des Zentralkomitees über die innerparteiliche Opposition, bestätigt den Ausschluss der inneren Opposition aus den Reihen der Arbeiterpartei sowie die Auflösung der Leitung des Regionalkomitees der Region Baranya. Der Parteitag schließt damit die Diskussion über die innerparteiliche Opposition. Der Parteitag ruft alle Mitglieder und Parteiorganisationen auf, die Parteidisziplin wiederherzustellen.”

2. Im Jahr 2005 entschied die Arbeiterpartei, den Namen Ungarische Kommunistische Arbeiterpartei anzunehmen

Durch diese Maßnahme wollte die Partei sowohl innenpolitisch als auch gegenüber der internationalen Arbeiterbewegung veranschaulichen, dass unsere Partei eine marxistisch-leninistische kommunistische Partei ist.

3. Im Jahr 2009 änderte der 23. Parteitag beinahe vollständig die Zusammensetzung des Zentralkomitees und des Präsidiums

Frische, neue Kräfte aus dem wirklichen Leben kamen in die Parteiführung – aktive Arbeiter, arbeitende Intellektuelle. Das Durchschnittsalter der Mitglieder des vom Parteitag gewählten Zentralkomitees betrug 50 Jahre.

4. Die Parteiführung entschied, direkte Kontrolle über die Mittel der Parteipropaganda auszuüben, über die Wochenzeitung „Szabadság”, Internetaktivitäten u.a.

Die Partei organisierte ein Kurierzustellservice der Partei, das die zentrale Wochenzeitung an lokale Organisationen liefert und gleichzeitig die Kommunikation zwischen der Zentrale und den lokalen Organisationen gewährleistet.

5. Im Jahr 2011 schuf die Partei die Ervin Szabó-Akademie [2]

Unter ihren 80 Studierenden befinden sich alle Mitglieder des Zentralkomitees, alle regionalen Führer, junge Aktivisten und die Führer der Jugend- und der Frauenorganisation.

6. Die Arbeiterpartei entfaltete eine beträchtliche theoretische und ideologische Arbeit

Im Jahr 2006 lieferte das Zentralkomitee eine komplette Analyse der konterrevolutionären Vorgänge von 1956. 2007, im Jahr des 90. Jubiläums der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution, legte es eine Analyse über neun Jahrzehnte kommunistischer Bewegungen vor.

2010-2011 arbeiteten wir die Thesen des neuen Programms der Ungarischen Kommunistischen Arbeiterpartei aus. Auf Grundlage neuen Wissens und neuer Erfahrungen sowie unter Anwendung neuer Methoden analysierten wir vier Jahrzehnte Sozialismus in Ungarn und die Gründe für die Konterrevolution von 1989. Diese Thesen wurden unter der Parteimitgliedschaft breit diskutiert. Gleichzeitig beschloss das Zentralkomitee die Thesen der Ungarischen Kommunistischen Arbeiterpartei zum 100. Geburtstag von János Kádár, in welchen eine neue Einschätzung der Tätigkeit János Kádárs und der Erfahrungen des ungarischen Sozialismus geliefert wurde.

Das Parteipräsidium und seine Fachgruppen erarbeiteten eine Reihe von Materialien, in welchen die spezifischen Themen des Rentensystems, der Beschäftigungspolitik, der Wirtschaftspolitik sowie Fragen des Parteiaufbaus analysiert wurden.

Als Ergebnis all dieser Arbeit wurde das neue Programm der Ungarischen Kommunistischen Arbeiterpartei vorbereitet, das durch den 24. Parteitag im Jahr 2012 angenommen wurde.

7. Die Arbeiterpartei konzentrierte alle Anstrengungen auf die konkrete Arbeit

Wir nahmen an, dass die ideologische und politische Entwicklung der Partei nur möglich sei, wenn die Partei ihre Prinzipien anhand konkreter Arbeit überprüft, die konkreten Erfahrungen zusammenfasst und bei ihrer ideologischen und politischen Arbeit nützt. Die Partei nimmt an den Aktionen der Gewerkschaften teil, führt Kundgebungen durch, organisiert die Parteiaktivitäten auf den Straßen der Städte und Gemeinden, Parteiaktivisten beteiligen sich bei zivilgesellschaftlichen Organisationen und Bewegungen.

8. Die Arbeiterpartei vertiefte ihre Beziehungen mit anderen marxistischen kommunistischen Parteien der Welt und studiert deren Erfahrungen.

Die Ungarische Kommunistische Arbeiterpartei ist ein aktiver Teilnehmer des jährlichen Internationalen Treffens Kommunistischer und Arbeiterparteien.

In diesem Kampf hat die Arbeiterpartei gelernt, dass sie nicht nur bereit sein sollte, den Angriffen der bürgerlichen Kräfte von rechts zu widerstehen. Uns sollte klar werden, dass die bürgerlichen Kräfte neben antikommunistischen Kampagnen auch den Opportunismus als eine der Hauptwaffen im Kampf gegen die kommunistische Bewegung nützen.

Das kapitalistische System, inklusive des ungarischen Kapitalismus, befindet sich in der Krise. Diese Krise rührt vom ureigensten Wesen des Kapitalismus und es scheint, dass die kapitalistischen Länder nicht in der Lage sind, diese Krise zu regulieren. Überall reagierte die Bourgeoisie auf die Krise mit der Reduzierung der Ausgaben für soziale und andere öffentliche Bedürfnisse, mit der Einschränkung von Arbeiterrechten. Dies verstärkt den Widerstand der Massen.

Die Ungarische Kommunistische Arbeiterpartei – auch wenn die Schwierigkeiten noch nicht hinter uns liegen – hat die Feuerproben der letzten beiden Jahrzehnte bestanden und ist eine reale und anerkannte Kraft im Leben Ungarns. In der ungarischen Gesellschaft beginnen immer mehr Menschen zu erkennen, dass die Politik und Ideologie des Abfindens mit dem Kapitalismus nirgends hinführte. Es gibt nur einen wahren Weg: Kampf gegen den Kapitalismus, mit der Perspektive der sozialistischen Revolution.


[1] Das gesamte Eigentum der früheren MSZMP ging an die MSZP, die zum offiziellen Rechtsnachfolger erklärt worden war.

[2] Ervin Szabó (1877-1918), Führer der ungarischen Arbeiterbewegung, marxistischer Theoretiker, Historiker und Soziologe